Die Sehnsucht

Ihr kennt das ja. Kommt man in ein gewisses Alter – auch wenn ich mich doch eigentlich noch ganz jung fühle – beginnt es einem da und dort im Körper zu zwicken. Man steht morgens auf und schon schmerzt einem der Rücken, es zuckt kurz im Unterarm. Meist nehme ich das ganz sportlich hin. Schließlich bin ich ja nicht mehr im Windel–Alter und man soll zu seiner Vergangenheit stehen.
Die Beschwerden haben ihren Grund. In den letzten Jahren bin ich bloß rumgestanden, unbeweglich. Ein misslicher Zustand für eine schnittige Segelyacht wie mich. An Land! Abgestellt an einem artfremden Ort. Fühle ich doch gerne das kühlende Wasser meinen Bauch streicheln, höre dem leise Plätschern entlang dem Rumpf zu, geniesse das sanfte Balancieren in der Welle. Doch drei Jahre lang stand ich nun stock und steif auf meinem Kiel auf hartem Boden, ein paar stählerne, wacklige Krücken haben mich vor dem seitlichen Umfallen geschützt. Oft befürchtend, ob ich nicht doch plötzlich hinfalle.
Als mein Kapitän Hans sich kurz vor Weihnachten 2019 von mir verabschiedete, sagte er was von ein paar Monaten und dann gehe es wieder weiter. Das nahm ich noch hin. Einen Regenmantel aus Plastik hat er mir überzogen um mich vor dem Monsun–Regen zu schützen. Aber als er mir dann noch eine Stoff–Maske um den Rumpf schnürte, wurde es mir zum ersten Male etwas unwohl. Vielleicht stimmt da was nicht? Als später dann die nur noch spärlich auftauchenden Arbeiter ebenfalls ihr Gesicht maskierten und zudem irgendwas von einem komischen mikroskopisch kleinen Virus erzählten, wurde mir Angst und Bange. Impfen kann ich mich ja nicht. Werde ich nun einfach hier stehen gelassen, von Imma und Hans vergessen und darf nie mehr in mein angestammtes Element zurückkehren?
Hinter mir liegt der tropische Urwald, es zirpt und pfeift ununterbrochen, ein in akustischer Traum. Doch schon bald steigen ein paar kleine Affen in mein Cockpit. Die gebärden sich immerhin noch besser als die dämlichen Ratten, welche all meine Seile im Großbaum durchbeißen. Ich versuche mich dabei zu winden, kann aber nicht wirklich etwas dagegen machen. Starr und steif stehe ich da und wünsche verzweifelt, dass der Hans möglichst bald zurückkehrt und sie verjagt. Jedem Morgen wird meine Hoffnung aufs Neue enttäuscht, keine vertrauten Gesichter sind auszumachen.
Bewegung in Deinem Alter tut gut, haben sie mir immer wieder gesagt. Und ich, ich stehe verlassen rum in dieser schwülen, feuchten Hitze, schwitze und sehne mich nach dem kühlen Nass. Ganz tief Innen in meinem Bauch steckt dieser grüne Metallblock, der dann und wann friedlich vor sich hin schnurrt, wenn wir unterwegs sind. Doch nun ist er still geworden, wie in einem Grab. Beginnt langsam vor sich hin zu rosten, was mich sehr frustriert. Die Kolben fressen sich an die Manteloberfläche an, als ob sie sich nie mehr wie 55 Pferde bewegen müssten. Die Seeventile, welche mir dazu dienen, meine überschüssigen Flüssigkeiten ins Meer abzustoßen, sind verstopft, dem Kühlschrank geht es auch nicht besser und meiner Elektronik ist verwirrt.
Was würde ich doch darum geben, könnte ich morgens jeweils etwas Yoga machen. Mich hin und her drehen, mich strecken und dehnen, mein inneres Ich spüren. Körper und Geist fit haltend. Doch ohne die Hilfe meines Kapitäns komme ich nicht von diesen wackligen Stelzen runter, und alles schmerzt zunehmendmehr. Kein Wunder.
Und dann, vor einem Monat, als ich die Hoffnung schon beinahe aufgegeben habe, höre ich plötzlich eine vertraute Stimme. „Tuvalu, ay cariño, tanto tiempo, como te encuentras?“ Mein Herz beginnt aufgeregt zu schlagen und ich versuche vor Freude mit der schlaff runterhängenden Ankerkette zu wedeln. Tatsächlich, da ist er, mein Kapitän. Schon steigt er zu mir aufs Deck, streichelt mir liebevoll den Nacken, öffnet die Luken, hebt die Bodenbretter auf und wir erzählen uns wie es uns ergegangen ist an diesen unzähligen einsamen Tagen. Ich beginne zu verstehen, denn auch er saß jahrelang im fernen Barcelona fest. Eingesperrt und mit Maske verkleidet. Nie hat er mich vergessen, Abend für Abend sehnsüchtig an mich gedacht. Aber zurückkommen konnte er gegen seinen Willen nicht. Schließlich standen alle Flugzeuge am Boden und zum Schwimmen ist es schlicht zu weit.
Jetzt ist er hier und alles ist anders. Früh am Morgen klettert er an Deck, wir plaudern etwas und dann pflegt er all meine Wewehchen und Bobochen, meine Schrammen und Frasspuren die sich während dem langen Landaufenthalt eingestellt haben. Wie dankbar ich ihm bin! Mein Bauch wird neu gestrichen, die rostigen Seeventile werden ausgewechselt, die Dieseltanks durchgespült. Einmal im Wasser hebt Hans den grünen Metallblock, das maschinelle Herz aus dem Rumpf und bringen ihn in die Werkstatt, wo er eine komplette Generalüberholung erhält. Robbie, der Mechaniker, spricht sogar spanisch mit uns, das kann also nur gut gehen. Schon bald sticheln und schmirgeln er und sein Mitstreiter Andrew sich bis in Innerste des Blocks hinein, putzen die Arterien, bringen die Muskeln wieder in Schwung. Hoffentlich wird er schon bald wieder an seinem angestammten Platz ruhig schnurren.
Im vertrauten Wasser des Liegeplatzes der Marina liegend erhalte ich viele aufregende Besuche. Chris, der Rigger, überprüft minuziös meinen Mast und die haltenden Drahtseile. Fädelt neue Seile in den Grossbaum, welche ja von den gierigen Ratten zerbissen wurden. Andan bringt einen neuen Kompressor für meinen Kühlschrank. So kann ich meinem schwitzenden Kapitän wieder kühle Getränke anbieten. Die Rettungsinseln werden aufs Festland zur Revision gebracht, auch wenn ich sicher bin, dass meine Crew diese nie brauchen wird, diese wird mich ja wohl nicht plötzlich auf hoher See verlassen wollen. Auch kommt der Chinese Hendrick, um meine Elektronik zu inspizieren, sind doch viele meiner Displays schon fast schwarz und können so meinem Kapitän nicht mehr anzeigen, wo wir gerade hinfahren. Da bin ich schon froh, will ich doch nicht, dass wir plötzlich unverhofft auf ein Riff oder in ein Containerschiff donnern.
Ja, nun bin ich wieder glücklich! Langsam verschwinden meine Altersleiden. Das intensive Yoga, welches ich mit meinem Kapitän mache, zeigt Wirkung. Ich bin schon reife 18 Jahre alt. Für Euch mag das nicht viel sein, aber für mich als Segelyacht und mit einem sehr bewegten Leben vom ersten Tag an, ist das schon ganz beträchtlich. Aber ihr wisst ja, man ist so alt, wie man sich fühlt und seit Kapitän Hans mir im Geheimen anvertraut hat, dass wir schon bald wieder durch den Indischen Ozean und das Rote Meer segeln werden, fühle ich mich wieder jung wie ein Teenager. Bald geht’s also wieder los. Wir werden die Segel hissen, uns sanft auf die Seite legen, die Wellen durchschneiden, Delfine werden um meinen Bauch tanzen und als erfahrene Segelyacht werde ich meine Crew sicher zu den nächsten aufregenden Zielen tragen.
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