Der Dreizack

Das war echt ungewollt. Die eine war ganz grün und eher flach. Mit lieblichen Einbuchtungen. Die andere war hoch, kantig und schroff. Schon heute Morgen hatte Amphitrite es ihm vorgehalten. Mit einem strafenden Blick. Was ihn gleich grummlig machte. Er solle nun endlich diesen Stock in der Ecke stehen lassen. Zudem sei dieser mit jenem lächerlichen Dreizack versehen. Total aus der Mode. Er solle sich einen neuen kaufen. So sähe er aus wie ein abgehalfterter Halbgott. Das ist total peinlich.
Wahrscheinlich hatte sie recht. Wenn er ehrlich ist, haben Frauen fast immer recht. Als er um die Säule herumging, glitt ihm der Stock aus der Hand. Er schlug mit der Spitze kurz auf den Boden, und schon poppten wieder zwei Inseln im Ägäischen Meer aus dem Wasser. Das ganze Meer sei schon voll von diesen Dingern, sagte Amphitrite. Bald gebe es mehr Land als Wasser. Dabei sei er doch der Meeresgott Poseidon. Lächerlich.
Die Morgenstunden sind friedlich, die Sonne glitzert im flachen Meer wie ein Spiegel. Das würde Aphrodite sehr gefallen, aber sie ist gerade im häuslichen Tempel, was am aufwischen. Immer dieser Staub, es ist zum Verzweifeln. Doch die Sonne streichelt seine Haut warm, und ein paar Möwen kreisen achtsam um ihn. Er sitzt ganz vorne auf der Kante und trinkt einen frischen Kaffee aus einem Kelch. Mit nacktem Oberkörper, Bart und wildem Haar. Unten schaukelt ein Segelschiff. „Tuvalu” steht auf seinem Rumpf. Komischer Name. Was mag das wohl sein? Selbst sein göttliches Hirn vermag keine Synapsen zu verbinden, so sehr er sich auch anstrengt. Im ganzen hellenischen Reich gibt es das nicht. Kein Ort, keine Insel, kein Mensch. Tuvalu! Ein Gott?
Wie dem auch sei, mit dem Dreizack herumzumachen, gefällt ihm. Das verleiht ihm stets das Image jenes leicht verwirrten, unberechenbaren Typen. Das beeindruckt alle, die ihn sehen. Dumm nur, dass er dabei stets Erdbeben und Tsunamis auslöst, oder eben Insel aus dem Wasser schiessen. Später werden Jack Sparrow oder Bernhard Moitessier ihn nachahmen, das weiß er allerdings nicht. Auch sie sind so durchgeknallte Typen. Doch nur er verkörpert die ungebändigte, lebensspendende und zerstörerische Kraft, auch wenn die anderen beiden ebenfalls angehimmelt wurden. Oder gar gefürchtet.
Denn alle auf See sind wohl einfach so. Oft etwas wirr, konfus, launig, halbe Spinner, denken viele. Sie machen das, was die Menschen an Land als unlogisch und gefährlich ansehen. Doch wären sie nicht so, kämen sie nirgendwo hin. Sie sind alle Kinder von Poseidon und hoffen, dass er nicht durch ein Ungeschick erzürnt wird.
Nachdem er seinen Morgenkaffee ausgetrunken hat, tritt Amphitrite wieder zwischen den Säulen hervor. Nun ist wohl wieder alles sauber. „Schau mal, die da unten sind gerade losgesegelt“, sagt sie. „Hinaus in die Kykladen. Recht mutig.“ Poseidon stellt seinen Dreizack in die Ecke. Denn seine liebliche Amphitrite schaut ihm tief in die Augen. Sie zieht ihn leicht nach innen. Sollen die doch segeln gehen.






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