#1 draussen im nichts: THOR

2020-04-30T08:25:07+00:00 30 April, 2020|# in the middle of nowhere, 2020|

Dialog mit Weltumsegler in Quarantäne: Der katalanische Einhandsegler David Ruiz ist 2017 in Barcelona, Spanien zu seiner Weltumseglung und nun via Atlantik, Karibik, Pazifik, Torres Street, Indonesien, im Roten Meer angekommen. Seine Yacht heisst THOR, eine Cigale 14 mit einem 14m langem Aluminium – Rumpf. Nicht alle Erlebnisse mit Ihm waren so surreal wie jene bei Majids in Borneo, doch seit unserem Kennenlernen in Cairns 2019 teilen wir unsere Liebe zu verschrobener Ästhetik.

Location

Ein Sprichwort sagt: Frag nie einen Segler wohin er als nächstes hinsegelt! Als Segler sind wir uns ja gewohnt, dass sich unsere Pläne plötzlich ändern. Sei es, weil das Wetter kehrt, wir technische Probleme haben oder was auch immer.

Wo befindet sich Deine Yacht und Du selbst seit dem lock down? Empfindet Du diese unerwartete Situation als Frust, produziert Sie Dir existentielle Angst oder erlebst Du sie mehr als Chance zur Selbsterfahrung?

Hallo Hans, ich segle alleine auf meiner Segelyacht THOR 5. Ich befinde mich im Roten Meer, in einer geschützten Bucht in ägyptischen Gewässern. Der lock down hat mich beim Segeln von Dschibuti nach Suez erwischt. Ich hatte einige Probleme bei meiner Fahrt durch Eritrea und auch im Sudan, doch zum Glück erlaubt man es mir nun hier in Ägypten mit der gelben Quarantäne – Flagge in deren Gewässern zu ankern. Selbstverständlich, ohne an Land zu gehen.

Persönlich erlebe ich die aktuelle Situation als ein weiteres Abenteuer meiner Reise. Wie Du in Deiner Einführung richtig hervorhebst, sind wir Segler ja daran gewöhnt, dass sich unsere Pläne oft plötzlich ändern. Und genau dies hat diese Situation provoziert; eine Änderung der Pläne.

Der Unterschied besteht darin, dass die Ursache der Planänderung die ganze Welt betrifft, so dass beim Entscheidungsprozess Faktoren intervenieren, welche normalerweise keinen großen Einfluss haben. Also wie z. B. die Situation, in der sich unsere Verwandten zu Hause befinden, globale Nachrichten über den Fortschritt der Epidemie, die von jedem Land auferlegten Navigationsbeschränkungen usw.. Das Spielbrett, auf welchem wir navigieren, hat seine Regeln komplett geändert, was die Situation sehr komplex macht. Womit man, um die bestmöglichen Entscheidungen treffen zu können, viel mehr Aspekte berücksichtigt muss als bei anderen Gelegenheiten.

Man muss offen und bereit sein, um je nachdem wie sich die Ereignisse entwickeln seine Pläne zu ändern ohne in Stress oder in Panik zu geraten. Somit ist die jetzige Situation wie eine weitere Herausforderung meiner Reise, nur ist sie in diesem Fall sehr außergewöhnlich. Wenn man eine Weltumsegelung plant, weiss man an sich ziemlich genau mit welchen Situationen man zu kämpfen haben wird: die Meteorologie, technische Probleme, Bürokratie in verschiedenen Ländern, Gesundheit usw. Doch niemand hat eine solch außergewöhnliche Situation erwartet. Es ist aber gleichzeitig auch wahr, dass der Spirit, welcher einen Segler dazu bewegt, Liegeplätze hinter sich zu lassen und loszusegeln – also die Komfortzone hinter sich zu lassen – vom Wunsch nach Herausforderung, der Suche nach Intensität, dem Gefühl, mit der Gegenwart verbunden zu sein, angetrieben wird – was wir gewöhnlich als „ich fühle mich lebendig “ nennen. Dieses Gefühl wird durch neue oder unerwartete Situationen verursacht, seien sie nun gute oder schlechte. Die aktuelle Situation ist eine solche, und zudem von kolossalen Ausmaßen. Ich habe das Gefühl, dass ich sie aus dieser Perspektive heraus angehen möchte. Also als Herausforderung, mit dem Ziel das Beste mögliche aus dieser Erfahrung zu lernen.

Wie bei allen großen Herausforderungen sind auch jetzt Momente des Handelns notwendig. Doch vor allem sind auch Momente der Reflexion und der Übungen des Selbstbewusstseins erforderlich, von denen Du in Deiner Einleitung ja auch sprichst. Denn es ist klar, dass uns hier eine großartige Gelegenheit der Lebenslehre offeriert wird, welche wir wachsam und mit Offenheit nutzen sollten. Ich denke, wer diese Situation ausschließlich als das Problem eines Virus sieht, welcher uns angreift, wird sehr leiden. Die Natur ist weise und gibt uns Hinweise, welche wir aufmerksam beachten und interpretieren sollten, Schlussfolgerungen daraus ziehen und entsprechend danach handeln sollten – jeder in seiner entsprechenden Umgebung und seinen Umständen.

In diesem Sinne ist es anekdotisch und irrelevant, ob ich auf einem Boot im Roten Meer oder in einer Wohnung einer Großstadt bin.

Bürokratie

Wenn wir von einschlafenden Beamten, rumschnüffelnden Drogenhunden und dem unnützen Ausfüllen von Dutzenden Formularen absehen, haben wir das Ein- und Ausklarieren in den meisten Ländern ja meistens problemlos überstanden. Oft haben diese Geschichten uns Stoff für endlose Anekdoten geliefert, welche wir dann wohl im Alter genüsslich Rum trinkend zigmal den Enkelkindern erzählen werden.

Wie sind Eure Erfahrungen mit der Immigration seit dem lock down? Haben sie Verständnis, helfen sie Lösungen zu finden oder fühlt Ihr Euch alleine gelassen? Hilft allenfalls auch die Botschaft Eures Landes allfällige Probleme Eurer Situation zu lösen? Habt Ihr trotz den Einschränkungen noch Kontakt zur lokalen Bevölkerung und zu ihrer Kultur?

In meinem Fall ging der Alarm vor Anker im Hafen von Dschibuti liegend los. Sie schlossen den Zugang für ankommende Schiffe, nicht aber für auslaufende. Plötzlich war es den anwesenden Yachten verboten an Land zu gehen, obwohl sie bei unserer Ankunft auf eine ärztliche Untersuchung bestanden hatten. Es gab Widersprüche zwischen den verschiedenen offiziellen Organismen, Küstenwachen, Hafenmeistern, Agenten usw. Man bot uns an, uns durch einen lokalen Typen mit seinem Boot zu verproviantieren lassen, aber seine finanziellen Forderungen waren aus meiner Sicht abusiv. Dies führte dazu, dass einige von uns beschlossen an Land zum Supermarkt zu gehen. So das Verbot ignorierend, welches darüber hinaus nie durch eine offizielle Erklärung an jedes Schiff ausgegeben wurden. Ich hatte nicht allzu viele Probleme, außer dass ich bei der Fahrt mit meinem Dinghi einem Hafengebiet und den Schreien der wütenden Küstenwache ausweichen musste. Vom anderen Ende des Piers brüllten sie mich an, nicht ins Innere des Hafens zu fahren, doch ich hörte nicht hin.

Mit dem danach gut verproviantierten Boot waren wir 5 Segelboote, welche sodann ausliefen. Ziel war Suez, mit der Idee im Hafen von Sudan und dann in Ghalib (bereits in Ägypten) Halt zu machen. Zu diesem Zeitpunkt waren diese Häfen noch geöffnet und akzeptierten Yachten. Währendem wir unterwegs waren schlossen sie jedoch alle, bevor wir sie erreichen konnten. Die Situation begann immer aussergewöhnlicher zu werden, sich einem apokalyptischen Film anzugleichen. Wir ankerten auf vor einer kleinen Insel in Eritrea und wurden vom Militär, welches das Gebiet bewachte, vertrieben. Tage später, nach einem langen Gespräch mit einem Patrouillenboot im Sudan, liessen sie uns zwei Nächte vor Anker verbringen, geschützt vor dem starken Nordwind, der wehte. Von dort aus war die Satellitentelefonverbindung mit den verschiedenen Segelyachten, welche wir auf unserer Fahrt von Sri Lanka nach Suez antrafen, eine große Hilfe, um Informationen über die Situation in den Häfen und deren Versorgungsmöglichkeiten auszutauschen. Auf diese Weise erfuhren wir, dass sie uns in Port Ghalib die Möglichkeit boten, Diesel und Lebensmitteln zu bunkern. Was wir dann auch taten.

Dies war wohl der surrealste Moment bis anhin. Wir fuhren eine Yacht nach der anderen an die Mole, nach weniger als 15 Minuten machten wir bereits wieder dem nächsten Platz. Dort, auf dem verlassenen Dock eines geschlossenen Luxusresorts, warteten vier Männer mit Masken, Handschuhen und Begasungsgeräten zur Desinfektierung. Sie gaben mir zwar nur Hälfte des bestellten Diesels und Essen, aber genug, um ein paar Tage weiterzufahren.

Bald darauf löste sich die Gruppe auf. Einige wollten Suez so schnell wie möglich erreichen, obwohl sie wussten, dass dort missbräuchliche Preise verlangt wurden, man täglich die Miete einer Boje in Hafengewässern zahlen musste, und dass im zudem im anschliessenden Mittelmeer alle Häfen geschlossen sind. Eine Art Flucht nach vorne, welche ich nie verstanden habe. Zusammen mit der Segelyacht ALDIVI haben wir uns deshalb entschlossen, in einer dieser wunderschönen Buchten zu ankern, dort geschützt in ruhigem, türkisfarbigem Wasser zu warten, bis sich die Situation verbessert und erst dann weiter ins Mittelmeer zu fahren.

Ich bin mir bewusst, dass unsere lock down derzeit luxuriös ist im Vergleich zu dem, was die meisten Menschen auf der Welt erleben. Und wenn wir es mit der Epidemie der schwarzen Pest vergleichen, die Europa im 14. Jahrhundert verwüstete und das Leben von 25 Millionen Menschen beendete, dann ist dies hier Disneyland.

Landgang

Als Segler sind wir ja paradigmatisch mobil. Doch eigentlich segeln die Weltumsegler ja bloß etwa 20% der Zeit, den Rest liegen sie in Buchten rum und machen lange Spaziergänge, plaudern mit der lokalen Bevölkerung und sammeln Muscheln am Strand. Die Herausforderung ist die Bucht!

Wie steht‘s denn mit dem Landgang seit dem lock down? Darfst Du noch an Land und unter welchen Bedingungen? Was würde passieren, wenn Du die Vorschriften nicht einhältst?

Der Landgang ist strengstens untersagt. In meinem Fall konnte ich die offizielle Einreise ins Land nicht vollziehen, da die offiziellen Einklarierungshäfen geschlossen sind. Somit weht die gelbe Flagge weiterhin im Mast. Doch wir schätzen es, dass die ägyptischen Behörden uns so viele Tage vor den Stränden ankern lassen.

Bisher habe ich in den letzten 40 Tagen drei illegale Landungen gemacht. Der erste war in Dschibuti, um in den Supermarkt zu gehen, wie ich bereits im ersten Teil des Interviews erwähnt habe, und ich bin sicher, dass dies eine gute Entscheidung war. Die anderen beiden waren hier wo ich jetzt bin. Einer auf einer einsamen, 2 Meilen entfernten Insel aus weißem Sand, um meine Beine zu vertreten. Wenn ich nicht mehr auf diese Insel gehe, liegt das daran, dass der Wind normalerweise zu stark ist und es riskant wäre, mit dem Dinghi hinzufahren, selbst wenn hier praktisch niemand ist.

Die andere Landung war riskanter und etwas rücksichtslos, da ich mich entschied, zum jenem Strand zu gehen, vor welchem ich geankert habe und an dem sich ein geschlossenes Hotel – Resort und ein Haus befindet. Ich fand einen kleinen Supermarkt, dies war als würde ich einen Schatz entdecken! Mit vollbeladenen Taschen auf dem Weg zurück zum Strand warteten 4 Männer auf mich, von denen sich einer sehr höflich als Sicherheitschef der Region vorstellte und mich bat, nicht wieder ab Bord zu gehen. Das habe nun auch befolgt, da ich sonst in Gefahr gerate würde, aus dem Land ausgewiesen zu werden. Oder dass sie mich nach Suez schicken, ich dort im Hafenbecken bleiben und exorbitante Preise für die Boje zahlen müsste.

Ein großer Vorteil in Ägypten ist, dass es sich um ein Land handelt, welches an den Tourismus gewöhnt ist. Wir tragen zum Einkommen des Landes bei, so behandelt uns die Zivilbevölkerung mit Respekt und sie übernehmen auch Verantwortung für spezielle Umstände.

Abgekoppelt

Seit Jahren bist Du auf wenigen Quadratmetern unterwegs. Auf wochenlangen Überfahrten quer durch die Ozeane bist Du es Dich ja gewohnt, abgekoppelt in Deiner kleinen Welt zu leben. Nun geht’s der Menschheit gleich wie Dir.

Fühlst Du Dich eingesperrt oder es ist es doch große Freiheit? Wie organisiert Du Deinen Alltag? Ist es Dir manchmal langweilig? Kannst Du auch einfach mal nichts tun? Hat sich diese Befindlichkeit seit mit dem lock downverändert?

Trotz der Einschränkungen an Land zu gehen, ist mein Gefühle ähnlich von jenem, welches ich schon während meiner gesamten Reise hatte. Ich bin ja nicht verpflichtet hier zu bleiben. Einige Schiffe fahren bereits über das Mittelmeer und ich könnte auch losfahren, wann immer ich möchte. Bei anderen Gelegenheiten habe ich mehrere Monate auf das Ende der Hurrikan – Saison wartend an einem Ort verbracht. Das ist das gleiche. Es wäre absurd, vor Anker an einem wunderschönen Ort mit türkisfarbenem Wasser in Mitten der Natur an Bord der Yacht – mein Zuhause – zu leben und sich nicht frei zu fühlen. Wie wir wissen, hängt unser Geisteszustand von der mentalen Einstellung zu Ereignissen ab. Man passt sich so den jeweiligen Umständen an, ohne die Situation mit einem weitsichtigen Ausblick zu dramatisieren und zu bewerten. Marco Aurelio hat es bereits gesagt: „Die Qualität unseres Lebens hängt von der Qualität unserer Gedanken ab.“ Ich versuche dies immer im Auge zu behalten und meine Gedanken in diese Richtung zu lenken.

Ich bin sehr glücklich, zusammen mit einem anderen Segelboot unterwegs zu sein, nämlich mit der ALDIVI, der ersten mexikanische Familie welche um die Welt segelt. Sie sind charmant und sehr großzügig; wir teilen lange Stunden miteinander, entweder bei leidenschaftlichen Gesprächsrunden oder die Künste ihrer Küche genießend. In meinem Falle als Einhandsegler ist dies wirklich wunderbar. Abgesehen davon nehmen Lesen und Schreiben viel Zeit in Anspruch, ohne körperliche Bewegung zu vergessen (das Alter verzeiht nicht, ha ha!). Kurz gesagt, abgesehen von Landbesuchen ist die Situation der eines auf einem anderen Liegeplatz während meiner Weltreise sehr ähnlich. Mein mentaler Zustand hat sich während dieser Reise entwickelt und es scheint mir, dass ich in diese Situation mit einer Reife begegnen kann, welche ich vielleicht vorher nicht hatte.

Alleine Segeln beinhaltet Selbstbeobachtung und ständige Selbstreflexion. Es ist eine aufregende Reise in Dein Inneres, auf der Du alle Deine Facetten millimetergenau entdeckst. Selbsterkenntnis, die für den Umgang mit Deinen eigenen Emotionen unerlässlich ist, bietet Dir eine sehr solide Basis, um mit Gelassenheit durch das Leben zu gehen, und Gelassenheit ist das was, angesichts der großen Herausforderungen welche das Leben wie gerade jetzt mit sich bringt, erforderlich ist.

Natur

Wir haben ja als Segler einen ganz engen Bezug zur Natur, gelernt viel Respekt vom Meer und vom Wetter zu haben. Auch haben wir gesehen wie fragil unser Planet ist, wir sehen gerade im indischen Ozean diese unglaubliche Masse von Plastik, die rumschwimmt und das absolute Scheitern der Bevölkerung damit umzugehen. Oft scheint es auch, dass die Hurrikan – Saisons länger dauern als früher und dass sie stärker werden (Euch muss man das ja wahrlich nicht sagen!) – auch wenn unsere Zeithorizont ja verschwindend klein ist. Wir haben die Diskussionen um die Pariser Klimaziele miterlebt, das weitgehende Scheitern deren Umsetzungen, haben auf vielen Inseln im Pazifik ganz direkt die Konsequenzen des ansteigenden Meeresspiegels gesehen (wir von TUVALU waren ja in Tuvalu). Nun so scheint es, als schlage der Planet zurück. Der Virus hat alle nach Hause geschickt.

Hat sich Deine Beziehung zur Natur, und Dein eigenes Verhalten zum Thema Nachhaltigkeit, verändert?

Ich habe viel darüber nachgedacht, wie schlecht wir es gemacht haben. Wir haben es geschafft, ganz mit dem Rücken zur Natur zu leben, sie einerseits zu ignorieren und andererseits anzugreifen. Wir haben uns völlig geirrt; und ich bin beeindruckt von unserer Blindheit und unserer Unfähigkeit, nicht zu erkennen, dass wir das Leben töten, unser Leben. Die Natur wird kein Problem damit haben, sich zu erholen. Seine Zeiten und Zyklen liegen in einer anderen Dimension, und als menschliche Spezies braucht sie uns nicht. Wir sind Ihr infizierter Eiterpickel. Bevor wir die Natur vollständig zerstören, werden wir bereits verschwunden sein. Sie wird uns skrupellos eliminieren, es sei denn, wir ändern uns radikal, und ich befürchte, dass die Zeit knapp wird.

Einer der Gründe für diese Reise war, einige Jahre in der Natur leben zu können. Als ich in der Stadt lebte, war ich besessen von der Idee, dass jeden Tag unseres Lebens die Sonne im Osten aufgeht und im Westen unter – was zwei großartige Spektakel verursacht, die von der überwiegenden Mehrheit von uns ignoriert wird. Zwei Spektakel, die zudem kostenlos sind, für die Reichen und die Armen. Dies scheint mir eine Respektlosigkeit und eine absolute Missachtung des Lebens zu sein und sagt viel über die menschliche Intelligenz aus.

In diesem Sinne war meine Reise in den Westen eine Reise nach der Sonne. Und ich habe sehr darauf geachtet, sie jeden Morgen zu begrüßen und sie jeden Nachmittag zu verabschieden, ihr für ihre Anwesenheit zu danken und mich dafür zu entschuldigen, dass ich sie so viele Jahre ignoriert habe. Meine Beziehung zur Sonne ist versöhnend.

Andererseits war ich ein direkter Zeuge des monumentalen Problems, das mit dem Plastikabfall in den Ozeanen und insbesondere im Indischen Ozean besteht. Und das Besorgniserregende ist, dass der Zustand des Indischen Ozeans ein Vorbote dessen ist, was im Pazifik und im Atlantik passieren wird, falls wir nicht in der Lage sind, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Ich überlege mir im Moment wie ich, sobald diese Reise beendet ist, durch meinen Beruf etwas dazu beitragen kann: im Grafikdesign und in der Werbung. Zwei Disziplinen, die offensichtlich eine große Verantwortung und einen großen Einfluss auf das Thema haben und durch sie viele Mentalitäten geändert werden könnten, wenn sie in diese Richtung gelenkt werden.

Kommunikation

Früher haben Weltumsegler wie Bernard Moitessier mit Steinschleudern Nachrichten auf Frachter geschossen, um alle paar Monate den Lieben zu Hause mitzuteilen, dass man noch nicht abgesoffen sei. Kamen sie dann nach Jahren nach Hause, gab‘s da plötzlich Enkelkinder, die Frau hat schon wieder geheiratet und Papa ist gestorben.

Kommunizierst Du regelmäßig mit „den Lieben zu Hause“? Welche Medien nutzt Du zum Kontakt mit der Welt? Vermisst Du die Sozialkontakte und haben sich diese mit lock down verändert?

Danke der digitalen Kommunikation ist die aktuelle Situation für die große Mehrheit der Menschen einigermaßen erträglich. Der Mangel an Kommunikation ist nur physisch. Ich kommuniziere sehr oft mit meinen Kindern, meiner Familie und meinen Freunden. Es gibt einige technische Probleme aufgrund der Einschränkungen, welche von der ägyptischen Regierung für Telefonanrufe auferlegt wurden. Wenn dies somit nicht möglich ist, verwende ich hauptsächlich WhatsApp. Wenn ich keine Abdeckung habe, verwende ich die Satellitenkommunikation über das Iridium, normalerweise in Form einer E-Mail. Diese Kommunikation ist der Schlüssel für mich. Mir geht es gut, weil ich weiß, dass es meine Lieben auch gut geht, so einfach ist das. Das soziale Leben hat sich nicht gross verändert.

Ich habe lange Zeiten alleine verbracht und viele andere in Gesellschaft mit Menschen, welche man an Orten trifft, welche man besuchst. Oder auch mit den crews von anderen Schiffen. Ich passe mich gut an alle Möglichkeiten an und ich mag sie alle. Vor einer Woche waren wir hier vier Segelboote, heute zwei, morgen können andere ankommen, da es ist nicht verboten zu segeln. Die Küste bietet viele Ankerplätze, es gibt also eine gewisse Bewegung. Es gibt auch Einheimische, die vom Strand aus zu uns schwimmen oder mit ihrem Boot rüberkommen, um zu fragen, ob wir etwas brauchen und uns Hilfe anbieten, und mit einigen von ihnen baut man am Ende eine gewisse Beziehung auf.

Beziehungen

Niemand weiss im Moment, wie sich die Beziehungen der Staaten im Nachgang der Corona Virus – Krise verändern werden. Sei es, dass totalitäre, nationalistische Machthaber Aufschwung erhalten, Grenzen geschlossen bleiben oder gar neue gezogen werden, dass das Militär auf der Strasse und am Fernseher präsent ist (wie zum Beispiel in Spanien), und uns vorschreibt was wir tun und lassen dürfen.

Aber es scheint auch, dass wir gleichzeitig wieder vermehrt auf die Wissenschaft hören. Virologen und Epidemiologen dozieren zur prime time oder auf viel gehörten Podcasts. Wir lernen wieder, dass die Wissenschaftler keine absoluten Aussagen zur Zukunft machen, dass sie Thesen aufstellen, dies dann in Versuchsreihen überprüfen und anschließend wieder verfeinern. Dass die Welt komplexer ist als es uns die Rechtspopulisten beibringen wollen. Vielleicht lernen wir ja auch, dass nur eine weltweite Solidarität uns rettet.

Hat sich Deine Beziehung zur Wissenschaft, Politik, zu Deinem sozialen Umfeld und auch zur fernen Heimat auf Deiner Reise verändert?

Diese Reise hat mir ermöglicht, etwas zu tun, von dem ich immer geträumt habe: alles mögliche zu lesen und ohne zeitliche Begrenzung zu lesen. Dies ist eine der großen Annehmlichkeiten dieser Lebenserfahrung. Einer meiner großen Luxusartikel. In all den Jahren konnte ich meine Nase in Büchern über Wissenschaft, Philosophie, Politik, Soziologie, usw. stecken. Ich habe ein großes Interesse an bestimmten Themen entwickelt, die meine Art, das Leben, die Natur und das Verhalten von Menschen wahrzunehmen, stark beeinflussen. Ich bin zudem sehr interessiert am Fortschritt in der Forschung der Funktionsweise des Gehirns und der Neurowissenschaften, und parallel dazu lese ich Bücher über das Bewusstsein, den Geist, östliche Philosophien wie den Buddhismus usw. Dies sind Themen, die mich gefangen haben und dies wohl für immer getan haben.

Was die Politik betrifft, habe ich sie aus einer gewisse Distanz verfolgt. Man könnte sagen, ich habe Meilen dazwischen gelegt – was mir eine viel gesündere Perspektive dazu gegeben hat. In den letzten Jahren war die Politik fast zu einer Obsession geworden, und zu viele Informationen machten es schwierig, Abstand zu halten. Die Politik Deines Landes von der anderen Seite der Welt aus beurteilen zu können, ist sehr empfehlenswert. Denn wie wir alle wissen, wenn Du zu nah an Dingen bist lassen die vielen Bäume den Wald nicht mehr sehen. Man kann sagen, dass meine Beziehung zur Politik weiterhin das gleiche Interesse wie immer weckt. Aber meine Fähigkeit zu filtern, zu diskutieren und zu relativieren ist besser geworden. Mein Blick heute ist weniger viszeral und ruhiger, und das führt zu einer klareren Sicht.

In Bezug auf die Beziehung zu meiner Heimat spreche ich von Anfang an lieber von Land und nicht von Heimat. Der Begriff Heimat bezieht sich direkt auf Konzepte, die ich verabscheue, und auf diese bestimmte Gruppe von Menschen, die immer davon besessen sind, „es zu retten“. Die klassischen „Heimat – Retter“, bei denen es offensichtlich ist, dass sie dringend vor ihren eigenen Ängsten, Unsicherheit und Unwissenheit gerettet werden müssten. Abgesehen davon hat sich das Verhältnis zu meinem Land nicht geändert. Ich bin immer noch sehr entmutigt – oder besser gesagt, jeden Tag entmutigter – angesichts des tiefen politischen Niveaus. Wir befinden uns in einer Sackgasse, bei der die Mittelmäßigkeit vorherrscht. Seit viele Jahre macht man keine Politik mehr. Nicht nur in Spanien; man muss bloß nur an den Psychopathen denken, der eine der Großmächte der Welt regiert. In diesem Sinne bin ich für die unmittelbare Zukunft nicht gerade optimistisch, es scheint wir schlittern direkt ins Chaos.

Diese Pandemie wird dazu beitragen unser Gewissen zu wecken, aber auch das gemeinste und elendeste Gesicht des Menschen zu zeigen. Doch kaum wird dadurch die großen Änderungen in unserem Verhalten initiiert, welche die Menschheit erfordert, wenn wir nicht als Spezies aussterben wollen. In diesem Sinne befürchte ich eher, dass das schlechte Niveau der gegenwärtigen Politik und das räuberische System der freien Wirtschaft welches zur Pandemie beigetragen hat, den Prozess beschleunigen wird. So dass alles vollständig zusammenbricht, und dann – je nachdem, was übrigbleibt und woraus wir gelernt haben – ein für alle Mal der Weg zu einem neuen Paradigma eröffnet wird – oder auch nicht. Meine Kinder werden dies hoffentlich erleben, ich wohl eher nicht mehr.

Zukunft

Joseph Conrad schrieb: Dem Traum folgen und nochmals dem Traum folgen und so ununterbrochen – bis zum Ende. Doch nun sitzen wir fest. Ist der Traum nun zu Ende?

Denkst Du, dass Deine Situation als steckengeblieben Weltumsegler transitorisch ist, dass wir also schon bald wieder lossegeln können und die Weltumseglung abschließen können? Oder machts Du Dir Gedanken das Schiff zu verkaufen (aber wer würde das schon wollen, wenn das so weiter geht?), dass der Traum zu Ende ist?

Ich möchte klarstellen, dass ich mich überhaupt nicht „gefangen“ fühle. Sondern im Gegenteil, ich habe das Privileg frei zu sein. Die Situation ist vorübergehend. Dies ist nicht das Ende der Welt. Es ist klar, dass ich irgendwann in Barcelona ankommen werde und damit eine fast vierjährige Reise abschließen kann.

Ich kenne einige Weltumsegler, die vorhaben, die Reise abzubrechen und in ihre Länder zurückzukehren. Doch eine solche Reise ist nicht die Frage eines Monats. Sie ist eine Phase Deines Lebens, und als solche weiß man, dass man sowohl mit komplizierten wie mit bereichernden Momenten konfrontiert sein wird. Der einzige Grund, warum ich die Reise abbrechen könnte, wäre, dass ein ernstes Familienproblem aufgetreten würde.

Meine Empfehlung für diejenigen, welche schon bald zu einer Weltumseglung starten wollen, ist dass sie sich wirklich nicht aufhalten sollten. Im Gegenteil, jetzt ist die beste Zeit, sich auf einer pazifischen Insel zu verirren und aus der Großstadt zu fliehen. Wer dies als Hindernis ansieht, sollte ernsthaft nachdenken. Denn vielleicht ist seine Idee nicht ausgereift, und tatsächlich ist das, wonach er sucht, eine Ausrede. Träume sind da, um sie zu erobern, man muss auf Joseph Conrad hören. Leinen los!

Positiv

Was ist das Beste, die positivste Erfahrung welche Du seit dem lock down erlebt habt?

Die Beziehung, welche ich mit meinen Nachbarn auf dem Ankerplatz habe, die crew der ALDIVI. Die Umstände haben eine Freundschaft gefestigt, die sich bei unserem Treffen auf den Malediven und später in Dschibuti zu entwickeln begann.

Zudem schätze ich auch die Offenheit der Menschen, welche zu uns zum Schiff kamen um Hilfe anzubieten; ohne sich zu kennen und oft völlig desinteressiert.

http://thorcinco.squarespace.com

@thorcinco

Posición actual: 26º 50.8’N 33º58.8’E

 

3 Comments

  1. URBANO Donnerstag, der 30. April 2020 um 17:23 Uhr - Antworten

    Preciosa y emotiva descripción

  2. Susana Freitag, der 1. Mai 2020 um 09:11 Uhr - Antworten

    Disfrutando de esta entrevista. Me ha encantado

  3. Jose Sonntag, der 3. Mai 2020 um 12:57 Uhr - Antworten

    Me encanta tu forma de pensar y la energía positiva y buen criterio que desprendes!! Enhorabuena

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